Nachdem die Statuten des Friedensvereins lange Jahre unauffindbar blieben, sind sie kürzlich im Gemeindearchiv wieder zum Vorschein gekommen.
Über den eigenartigen Verein ist in der Adlerauge-Ausgabe 2017 ein ausführlicher Artikel erschienen.
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STATUTEN
FÜR DEN
FRIEDENSVEREIN IN WITTNAU
§ 1.
In der Gemeinde Wittnau besteht ein Friedensverein, der zum Zwekke hat: Streitigkeiten unter ihren Einwohnern, welche nach dem Gesezze vor das Forum des Civilrichters gehören, entweder durch den Vorstande, oder durch ein Schiedsgericht gütlich beilegen zu lassen, um die Weiterziehung solcher Gegenstände vor richterliche Behörden gänzlich zu beseitigen, Prozeße zu verhüten, unnötige Kosten zu ersparen, u. dadurch die Eintracht u. gegenseitige Freundschaft unter ihnen immer mehr zu fördern.
§ 2.
Jeder hiesige Einwohner ist berechtigt, sich in den Verein aufnehmen zu lassen. Die männlichen Mitglieder, welche die Volljährigkeit erreicht haben u. eigenen Rechtes sind, sind Stimm- u. Wahlfähig.
§ 3.
Die Erklärung zum Beitritt geschieht durch die Unterschreibung der Statuten.
§ 4.
Die Beitretenden erklären durch diese Unterschrift, sich den Statuten des Vereins in allen Theilen zu unterziehen.
§ 5.
Wenn ein Mitglied mit einem Nichtmitgliede in Streit geräth, so kann das leztere, wenn es auch kein hiesiger Einwohner wäre, die Vermitlung des Vereins in Anspruch nehmen, insofern solches für diesen speziellen Fall die Verpflichtung ausstellt, sich den Bestimmungen der Statuten zu unterziehen.
§ 6.
Unter gleiche Bedingungen können auch Angehörige eines dem Verein beigetretenen Familienhauptes, als: Gesellen, Lehrlinge u. Dienstboten, die Vermittlung des Friedensverins anrufen, wenn sie auch nicht Mitglieder desselben sind.
§ 7.
Jedes Mitglied ist übrigens ersucht, seine Angehörigen auf dieses Institut aufmerksam zu machen, u. zum Beitritt einzuladen.
§ 8.
Die Mitglieder des Vereins u. diejenigen, welche deßen Vermittlung angesprochen haben, sind verpflichtet, allfällig unter ihnen entstandene Streitigkeiten jeder Art, mit Ausnahme der durch das Gesetz (§ 468) ausgeschloßenen Fälle, sofern sie jene nicht unter sich selbst beseitigen können, vor den Vorstand zu bringen.
§ 9.
Wer Mitglied dieses Vereins geworden ist, kann sich nicht willkürlich von demselben trennen. Verlangt aber ein Mitglied den Austritt, so hat es sein Gesuch mit Ende Jahrs beim Vorstand schriftlich einzulegen; dieser muß dem Verlangen entsprechen, wenn kein Streit zwischen dem Austretenden u. einem anderen Mitgliede anhängisch gemacht ist. Im leztern Falle muß zuerst der Streit entschieden sein.
Dagegen ist der Verein befugt, Mitglieder, die sich desselben unwürdig gezeigt haben, auszuschließen. Die ausschließung geschieht durch absolutes Mehr der anwesend, stimmberechtigten Mitglieder, denen jedoch in einem solchen Falle bei der Einladung zur Versammlung Kenntniß davon gegeben werden muß.
§ 10.
Sogleich nach der Annahme dieser Statuten erklärt sich der Verein als konstituirt, u. wählt durch geheimes Mehr zwei Mitglieder, das erste zum Vorsteher, das leztere als deßen Stellvertreter u, zwar beide auf die Dauer eines Jahrs. Die Austretenden sind wieder wählbar.
§ 11.
Der Vorstand und deßen Stellvertreter erwählen einen Weibel, der die Parteien
zu ihren so wie auch zu den schiedsrichterlichen Verhandlungen vorladet, u. zur Vereinsversammlung aufbietet, wenn die Mitglieder nicht können an einer Gemeindsversammlung eingeladen werden.
§ 12.
Der Verein versammelt sich ordentlicher Weise alle Jahre im Monat Jenner; außerordentlich so oft es die Umstände erfordern.
§ 13.
Die Verrichtungen des Vorstandes sind:
a. Er leitet die Versammlungen und Verhandlungen des Vereins u. führt über
dieselben ein genaues Protokoll.
b. Er legt demselben einen summarischen Bericht über die Art der im Laufe des
verfloßenen Jahres beigelegten Streitigkeiten, jedoch ohne Namensnennung der
Betreffenden vor.
c. Er sucht die vor ihn zur Verhandlung gebrachten Streitigkeiten schon von sich aus
beizulegen. Gelingt dieses, so führt er darüber ein Protokoll u. läßt dasselbe von
den Parteien unterzeichnen. Kommen die Parteien durch seine Mitwirkung nicht
überein, u. der Streitgegenstand beträgt nur drei Franken oder darunter, so hat er
darüber zu entscheiden; beträgt aber der Streitgegenstand mehr als drei Franken,
so hat er dieselben an ein Schiedsgericht zu verweisen.
d. Er hat jede Klage innert vier Tagen, von der Anzeige an gerechnet, zur Hand zu
nehmen.
§ 14.
Der Stellvertreter übernimmt diese Verrichtungen in Abwesenheits- oder Krankheits-fällen des Vorstehers, so wie wenn derselbe sich mit der einen oder andern Partei innert dem gesezzlichen Verwandschaftsgrade befindet.
In Fällen, wo zugleich der Vorstand u. deßen Stellvertreter mit der einen oder andern Partei verwand sind, werden die Parteien sogleich vom Vorstand an ein Schiedsgericht verwiesen.
§ 15.
Das Schiedgericht wird durch die Parteien aus den Mitgliedern des Vereins bestellt u. zwar so: Jede Partei wählt (in gleicher Zahl) wenigstens ein, höchstens zwei Schiedsrichter, die aber keiner Partei bis u. mit dem Grade von Geschwister Kinder verwandt sein dürfen, auch kein Intereße haben.
Sogleich u. mit Ausschluß von gleichem Verwandschaftsgrade, wählen die Parteien einen Obmann. Können sich diese mit der Wahl nicht vereinigen, so wird derselbe von den Schiedsrichtern ernannt. Kommen leztere mit miteinander nicht überein, so soll zwischen den zweien, welche die meisten Stimmen erhalten, das Loos entscheiden.
§ 16.
Wird der Vorsteher, sein Stellvertreter oder das Schiedsgericht um die Vermittlung von Streitigkeiten in Anspruch genommen, so werden sie eingedenkt ihres schönen Amtes nichts versäumen, was zur Vereinigung der Parteien beitragen kann u. wenn diese auch bei der ersten Zusammenkunft nicht erziehlt werden könnte, sich dadurch nicht abhalten laßen, zu diesem Zwekke noch mehrere Versuche mit verdoppeltem Eifer anzustellen.
Sollte aber die Vereinigung auf diese Weise unmöglich sein, so sind sie verpflichtet, solche Streitigkeit innert den gesezzlichen u. statutenmäßigen Grenzen beizulegen.
§ 17.
Das Schiedsgericht ist angewiesen, in allen Fällen, für welche gegenwärtige Statuten keine besondere Bestimmungen enthalten, nach Vorschrift der Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Kanton Aargau (IX Abschnitt § 465 – 475.) zu verfahren.
§ 18.
Für diejenigen Fälle aber, wo das Gesezz die Form des Verfahrens der Uebereinkunft der Parteien anheimstellt, werden für den hießigen Verein folgende nähere Bestimmungen festgesezt:
a. Kein Mitglied des Vereins, das als Schiedsrichter oder Obmann angesprochen
wird, darf in der Regel diese Wahl ausschlagen. Bei wichtigen Ablehnungsgründen
entscheidet der Vorstand.
b. Bei wichtigen Fällen kann der Obmann auch außer den Vereinsmitgliedern
gewählt werden. Geschieht dieses, so ist jede Partei, die arm ist u. Streit führet,
verpflichtet, die Kosten für den Obmann, bis nach beendetem Streit, beim
Vorstand zu hinterlegen.
c. Die Parteien sind gehalten den Schiedsrichtern ihre Sache mündlich vorzutragen.
d. Die Parteien dürfen sich vor dem Schiedsgerichte durch keine Rechtsanwälte
vertreten laßen.
e. Das Schiedsgericht erwählt seinen Schreiber aus ihrer Mitte.
f. Dasselbe ist gehalten, dem Vorstande nach der Erledigung der ihm zur
Behandlung überwiesenen Gegenstände die Akten zur Aufbewahrung zu
übergeben.
§. 19.
Der Vorsteher des Friedensvereins, deßen Stellvertreter, die Schiedsrichter u. der Obmann, wenn lezterer ein Vereinsmitglied ist, haben für ihre Verrichtungen eine kleine Entschädigung per Halbtage fünf Bazzen, nebst diesem hat der Schreiber, ohne Stempel u. Papier, per folio Seite ein Bazzen Schreibgebühr u der Weibel von jeder Partei, wenn er dieselben vorladen muss, ein Bazzen zu beziehen.
Für allfällige erforderliche Zeugen oder Sachverständige wird der Vorstand bei seinen Verhandlungen u. das Schiedsgericht bei den seinigen, eine billige Entschädigung bestimmen.
§. 20.
Die in vorstehenden Statuten enthaltenen Bestimmungen über Behandlung allfällig künftig entstehender Streitigkeiten werden als Schiedsvertrag des Friedensvereins angenommen (§. 466.) u. die Richter sind angehalten, nach den bestehenden Gesezzen u. den vorliegenden Akten zu urteilen, wenn die Parteien nicht ausdrükklich u. schriftlich erklären, daß dieselben bei ihrem Ausspruch auf ein bloßbilliges Ermeßen hingewiesen sind.
§. 21.
Diese Statuten können einer Refision unterworfen werden, wenn die Mehrheit der Mitglieder solches verlangt.
Zur Urkunde deßen sind vorstehende Statuten von den Unterzeichneten als Schiedsvertrag angenommen u. bestätigt worden.
So geschehen in Wittnau den 18ten Februar im Jahr achtzehnhundert und fünfzig.
[Unterschriften:]
Joh: Rüetschi, Ammann Jos: Herzog, Bek
Moriz Lichte, Gd.Rath Anton Schmid
Xav. Herzog, Gd.rath Johannes Fricker, Weber
Blasius Schmid, Gd.rath Andreas Fricker
J. Frikker, Viz.President Jos. Fricker, Andresen
Lukas Studer, Gd.rath Jakob Broglÿ
Joh: Frikker, Lehrer Fridolin Herzog
Jos. Hochreuter ober mit Kreuz + zeichen Joseph Herzog
Obiges Kreuzzeichen bezeugen
Joh. Frikker, Lehrer u. Lukas Studer M. Josefa Herzog
Joh. Frikker, Lehrer, Beistand.
Andres Fricker, Wagner
Agatha Beck
Ignaz Schmid
Rosa Beck
Ambros Schmid
August [?] Beck als Beistand
Frantzjoseph Schmid
A. Maria Schmid mit Kreuz + zeichen
Fridolin Schmid Webers
Jos. Uibelmann Katharina Schmid
P. Carl Schmid, Pfr. Jos Schmid als
Beistan[d]
Franz Jos. Herzog, Lehrer
Nebst den Statuten des Friedensvereins befindet sich im Wittnauer Gemeindearchiv auch das Protokollbuch (GA Wi 578). Die Eintragungen wurden zwischen 1850 (24. Febr.) und 1854 (7. Nov.) gemacht.