Friedensverein Wittnau (1850)

Nachdem die Statuten des Friedensvereins lange Jahre unauffindbar blieben, sind sie kürzlich im Gemeindearchiv wieder zum Vorschein gekommen. 

Über den eigenartigen Verein ist in der Adlerauge-Ausgabe 2017 ein ausführlicher Artikel erschienen.

p. 1: § 1 - 3
p. 1: § 1 - 3
p. 2; § 4 - 8
p. 2; § 4 - 8
p. 3; § 9 - 12
p. 3; § 9 - 12
p. 4; § 13 - 14
p. 4; § 13 - 14
p. 5; § 15 - 16
p. 5; § 15 - 16
p. 6; § 17 - 18
p. 6; § 17 - 18
p. 7; § 19 - 21
p. 7; § 19 - 21
p. 8; Unterschriften
p. 8; Unterschriften

[Transkript:]

 

STATUTEN

FÜR DEN

FRIEDENSVEREIN IN  WITTNAU

 

 

§ 1.

In der Gemeinde Wittnau besteht ein Friedensverein, der zum Zwekke hat: Streitigkeiten unter ihren Einwohnern, welche nach dem Gesezze vor das Forum des Civilrichters gehören, entweder durch den Vorstande, oder durch ein Schiedsgericht gütlich beilegen zu lassen, um die Weiterziehung solcher Gegenstände vor richterliche Behörden gänzlich zu beseitigen, Prozeße zu verhüten, unnötige Kosten zu ersparen, u. dadurch die Eintracht u. gegenseitige Freundschaft unter ihnen immer mehr zu fördern.

 

§ 2.

Jeder hiesige Einwohner ist berechtigt, sich in den Verein aufnehmen zu lassen. Die männlichen Mitglieder, welche die Volljährigkeit erreicht haben u. eigenen Rechtes sind, sind Stimm- u. Wahlfähig.

 

§ 3.

Die Erklärung zum Beitritt geschieht durch die Unterschreibung der Statuten.

 

§ 4.

Die Beitretenden erklären durch diese Unterschrift, sich den Statuten des Vereins in allen Theilen zu unterziehen.

 

§ 5.

Wenn ein Mitglied mit einem Nichtmitgliede in Streit geräth, so kann das leztere, wenn es auch kein hiesiger Einwohner wäre, die Vermitlung des Vereins in Anspruch nehmen, insofern solches für diesen speziellen Fall die Verpflichtung ausstellt, sich den Bestimmungen der Statuten zu unterziehen.

 

§ 6.

Unter gleiche Bedingungen können auch Angehörige eines dem Verein beigetretenen Familienhauptes, als: Gesellen, Lehrlinge u. Dienstboten, die Vermittlung des Friedensverins anrufen, wenn sie auch nicht Mitglieder desselben sind.

 

§ 7.

Jedes Mitglied ist übrigens ersucht, seine Angehörigen auf dieses Institut aufmerksam zu machen, u. zum Beitritt einzuladen.

 

§ 8.

Die Mitglieder des Vereins u. diejenigen, welche deßen Vermittlung angesprochen haben, sind verpflichtet, allfällig unter ihnen entstandene Streitigkeiten jeder Art, mit Ausnahme der durch das Gesetz (§ 468) ausgeschloßenen Fälle, sofern sie jene nicht unter sich selbst beseitigen können, vor den Vorstand zu bringen. 

 

 

§ 9.

Wer Mitglied dieses Vereins geworden ist, kann sich nicht willkürlich von demselben trennen. Verlangt aber ein Mitglied den Austritt, so hat es sein Gesuch mit Ende Jahrs beim Vorstand schriftlich einzulegen; dieser muß dem Verlangen entsprechen, wenn kein Streit zwischen dem Austretenden u. einem anderen Mitgliede anhängisch gemacht ist. Im leztern Falle muß zuerst der Streit entschieden sein.

Dagegen ist der Verein befugt, Mitglieder, die sich desselben unwürdig gezeigt haben, auszuschließen. Die ausschließung geschieht durch absolutes Mehr der anwesend, stimmberechtigten Mitglieder, denen jedoch in einem solchen Falle bei der Einladung zur Versammlung Kenntniß davon gegeben werden muß.

 

§ 10.

Sogleich nach der Annahme dieser Statuten erklärt sich der Verein als konstituirt, u. wählt durch geheimes Mehr zwei Mitglieder, das erste zum Vorsteher, das leztere als deßen Stellvertreter u, zwar beide auf die Dauer eines Jahrs. Die Austretenden sind wieder wählbar.

 

§ 11.

Der Vorstand und deßen Stellvertreter erwählen einen Weibel, der die Parteien 

zu ihren so wie auch zu den schiedsrichterlichen Verhandlungen vorladet, u. zur Vereinsversammlung aufbietet, wenn die Mitglieder nicht können an einer Gemeindsversammlung eingeladen werden.

 

§ 12.

Der Verein versammelt sich ordentlicher Weise alle Jahre im Monat Jenner; außerordentlich so oft es die Umstände erfordern.

 

§ 13.

Die Verrichtungen des Vorstandes sind:

a.  Er leitet die Versammlungen und Verhandlungen des Vereins u. führt über 

     dieselben ein genaues Protokoll.

b.  Er legt demselben einen summarischen Bericht über die Art der im Laufe des 

     verfloßenen Jahres beigelegten Streitigkeiten, jedoch ohne Namensnennung der 

      Betreffenden vor.

c.   Er sucht die vor ihn zur Verhandlung gebrachten Streitigkeiten schon von sich aus 

      beizulegen. Gelingt dieses, so führt er darüber ein Protokoll u. läßt dasselbe von 

      den Parteien unterzeichnen. Kommen die Parteien durch seine Mitwirkung nicht 

      überein, u. der Streitgegenstand beträgt nur drei Franken oder darunter, so hat er 

      darüber zu entscheiden; beträgt aber der Streitgegenstand mehr als drei Franken, 

      so hat er dieselben an ein Schiedsgericht zu verweisen.

d.   Er hat jede Klage innert vier Tagen, von der Anzeige an gerechnet, zur Hand zu 

      nehmen.

 

§ 14.

Der Stellvertreter übernimmt diese Verrichtungen in Abwesenheits- oder Krankheits-fällen des Vorstehers, so wie wenn derselbe sich mit der einen oder andern Partei innert dem gesezzlichen Verwandschaftsgrade befindet. 

In Fällen, wo zugleich der Vorstand u. deßen Stellvertreter mit der einen oder andern Partei verwand sind, werden die Parteien sogleich vom Vorstand an ein Schiedsgericht verwiesen.

 

§ 15.

Das Schiedgericht wird durch die Parteien aus den Mitgliedern des Vereins bestellt u. zwar so: Jede Partei wählt (in gleicher Zahl) wenigstens ein, höchstens zwei Schiedsrichter, die aber keiner Partei bis u. mit dem Grade von Geschwister Kinder verwandt sein dürfen, auch kein Intereße haben.

Sogleich u. mit Ausschluß von gleichem Verwandschaftsgrade, wählen die Parteien einen Obmann. Können sich diese mit der Wahl nicht vereinigen, so wird derselbe von den Schiedsrichtern ernannt. Kommen leztere mit miteinander nicht überein, so soll zwischen den zweien, welche die meisten Stimmen erhalten, das Loos entscheiden.

 

§ 16.

Wird der Vorsteher, sein Stellvertreter oder das Schiedsgericht um die Vermittlung von Streitigkeiten in Anspruch genommen, so werden sie eingedenkt ihres schönen Amtes nichts versäumen, was zur Vereinigung der Parteien beitragen kann u. wenn diese auch bei der ersten Zusammenkunft nicht erziehlt werden könnte, sich dadurch nicht abhalten laßen, zu diesem Zwekke noch mehrere Versuche mit verdoppeltem Eifer anzustellen. 

Sollte aber die Vereinigung auf diese Weise unmöglich sein, so sind sie verpflichtet, solche Streitigkeit innert den gesezzlichen u. statutenmäßigen Grenzen beizulegen.

 

§ 17.

Das Schiedsgericht ist angewiesen, in allen Fällen, für welche gegenwärtige Statuten keine besondere Bestimmungen enthalten, nach Vorschrift der Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Kanton Aargau (IX Abschnitt § 465 – 475.) zu verfahren.

 

§ 18.

Für diejenigen Fälle aber, wo das Gesezz die Form des Verfahrens der Uebereinkunft der Parteien anheimstellt, werden für den hießigen Verein folgende nähere Bestimmungen festgesezt:

a.   Kein Mitglied des Vereins, das als Schiedsrichter oder Obmann angesprochen 

      wird, darf in der Regel diese Wahl ausschlagen. Bei wichtigen Ablehnungsgründen 

      entscheidet der Vorstand.

b.   Bei wichtigen Fällen kann der Obmann auch außer den Vereinsmitgliedern 

      gewählt werden. Geschieht dieses, so ist jede Partei, die arm ist u. Streit führet, 

      verpflichtet, die Kosten für den Obmann, bis nach beendetem Streit, beim 

      Vorstand zu hinterlegen.

c.   Die Parteien sind gehalten den Schiedsrichtern ihre Sache mündlich vorzutragen.

d.   Die Parteien dürfen sich vor dem Schiedsgerichte durch keine Rechtsanwälte 

      vertreten laßen.

e.   Das Schiedsgericht erwählt seinen Schreiber aus ihrer Mitte.

f.    Dasselbe ist gehalten, dem Vorstande nach der Erledigung der ihm zur 

      Behandlung überwiesenen Gegenstände die Akten zur Aufbewahrung zu 

      übergeben.

 

 

 

§. 19.

Der Vorsteher des Friedensvereins, deßen Stellvertreter, die Schiedsrichter u. der Obmann, wenn lezterer ein Vereinsmitglied ist, haben für ihre Verrichtungen eine kleine Entschädigung per Halbtage fünf Bazzen, nebst diesem hat der Schreiber, ohne Stempel u. Papier, per folio Seite ein Bazzen Schreibgebühr u der Weibel von jeder Partei, wenn er dieselben vorladen muss, ein Bazzen zu beziehen.

Für allfällige erforderliche Zeugen oder Sachverständige wird der Vorstand bei seinen Verhandlungen u. das Schiedsgericht bei den seinigen, eine billige Entschädigung bestimmen.

 

§. 20.

Die in vorstehenden Statuten enthaltenen Bestimmungen über Behandlung allfällig künftig entstehender Streitigkeiten werden als Schiedsvertrag des Friedensvereins angenommen (§. 466.) u. die Richter sind angehalten, nach den bestehenden Gesezzen u. den vorliegenden Akten zu urteilen, wenn die Parteien nicht ausdrükklich u. schriftlich erklären, daß dieselben bei ihrem Ausspruch auf ein bloßbilliges Ermeßen hingewiesen sind.

 

§. 21.

Diese Statuten können einer Refision unterworfen werden, wenn die Mehrheit der Mitglieder solches verlangt.

 

Zur Urkunde deßen sind vorstehende Statuten von den Unterzeichneten als Schiedsvertrag angenommen u. bestätigt worden.

So geschehen in Wittnau den 18ten Februar im Jahr achtzehnhundert und fünfzig.

 

 

[Unterschriften:]

 

Joh: Rüetschi, Ammann                                    Jos: Herzog, Bek

Moriz Lichte, Gd.Rath                                       Anton Schmid  

Xav. Herzog, Gd.rath                                        Johannes Fricker, Weber

Blasius Schmid, Gd.rath                                   Andreas Fricker

J. Frikker, Viz.President                                    Jos. Fricker, Andresen

Lukas Studer, Gd.rath                                       Jakob Broglÿ  

Joh: Frikker, Lehrer                                           Fridolin Herzog  

Jos. Hochreuter ober mit Kreuz + zeichen       Joseph Herzog      

     Obiges Kreuzzeichen bezeugen

Joh. Frikker, Lehrer u. Lukas Studer                 M. Josefa Herzog

Joh. Frikker, Lehrer, Beistand.

Andres Fricker, Wagner

Agatha Beck

Ignaz Schmid

Rosa Beck

Ambros Schmid

August [?] Beck als Beistand

Frantzjoseph Schmid

A. Maria Schmid mit Kreuz + zeichen

Fridolin Schmid Webers

Jos. Uibelmann                                               Katharina Schmid

P. Carl Schmid, Pfr.                                        Jos Schmid als

                                                                                Beistan[d]

Franz Jos. Herzog, Lehrer


Nebst den Statuten des Friedensvereins befindet sich im Wittnauer Gemeindearchiv auch das Protokollbuch (GA Wi 578). Die Eintragungen wurden zwischen 1850 (24. Febr.) und 1854 (7. Nov.) gemacht.